28.11.05

wiederholung

In dieser Woche "Giselle" in der Originalaufführung in einem original wiederaufgebautem Opernhaus gesehen. Es war wunderschön. Und dabei überkam mich die Vorstellung, wie vor 160 Jahren Menschen ebendieses Ballett in vielleicht sogar ebendiesem Opernhaus genauso gesehen haben und ebenso begeistert waren. Menschen, die mit Pferdedroschken kamen ...

Gestern in der Kirche das Weihnachtsoratorium von J.S. Bach gehört. Gegenüber auf der Empore sitzen Menschen - ein kräftiger Mann mit langem dichtem Haar und einer, der so etwas wie einen Patrizierkragen umhat, so erscheint es, und eine Frau mit einem dunkelroten Barett auf dem Kopf und ein blasser junger ernster Mann. Und wieder denke ich, sie sehen aus und sitzen da, wie jene Menschen die vor 270 Jahren schon ebendieses Weihnachtsoratorium in einer Kirche gehört haben ...

Danach gehen wir über den abendlichen Weihnachtsmarkt. Menschen, die vom Glühwein berauscht sind, Würste und Schmalzgebäck essen, in die hellen Buden schauen und kaufen. Diesen Markt gibt es seit über 500 Jahren. Auch damals hat man sich wohl genauso erfreut.

Seit einigen Monaten gibt es hier in den Städten wieder Bettler, die ihre amputierten Gliedmassen vorzeigen, ihre körperlichen Gebrechen zur Schau stellen. Davon habe ich als Kind in Büchern, die vor vielen hundert Jahren spielten, gelesen. Und es erschien mir damals so fürchterlich und ich war froh, dass diese Zeiten so weit weg waren.

In der Schule hat mich im Geschichtsunterricht der Dreissigjährige Krieg sehr beeindruckt, weil ein Krieg über einen so langen Zeitraum so schrecklich unvorstellbar war. Jetzt sehe ich auf Afghanistan, da der Krieg seit 27 Jahren nicht aufgehört hat.

Was haben wir in den letzten Jahrhunderten wirklich hinter uns gelassen? Es ist alles noch da.

kunstlicht

Dieses dunkelgraue bleierne Land nicht ansehen, nur den Schein der Lampen und die Helligkeit der Bildschirme wahrnehmen.

wieder geöffnet

Das selbstverordnete Schweigen wird wieder beendet. Ja, auch hier war "vorübergehend geschlossen wegen bösem Leben". So schön kann man es ankündigen. Das merke ich mir für das nächste Mal.

17.11.05

ätzend

Wie man geliebt und hofiert wird, wenn man gut funktioniert und den anderen nützt. Wie das alles nachlässt, und Unverständnis signalisiert wird, sobald man sich aus dieser Situation herausnimmt. Und wie es sofort wieder aufflammt, wenn man doch noch einmal mitspielt ... Schwer zu ertragen diese Machtspiele und Egoismen. Und so leid es mir tut, eure Masken sind so durchsichtig. Denkt ihr wirklich, ich könnte glauben, was ihr mir da zeigt. Ich bin schon krank vor Lachen. So krank von alledem.

14.11.05

herbststille

Heute morgen das erstemal Eis auf den Autoscheiben. Sonne, Dunst, Windstille. Stille auch in den Gedanken. Endlich. Der Herbst ist willkommen. Er bringt Ruhe über das Land. Es ist mild. Mit angenehmen Farben und Gerüchen. Mit transparentem Licht oder auch feinem traumhaftem Nebel. Man geht noch gern hinaus, ist aber auch schon gern im warmen Haus. Bei ruhigem, konzentriertem Tun. Die Gedanken an den Winter, den eiskalten, werden weggeschickt.

12.11.05

ausgleich

An diesem Tag, da die Gedanken über die Verfehltheiten des eigenen Lebens so konzentriert und heftig sind, und das Gefühl der Verlassenheit und Trauer so umfassend, geschehen Dinge, die das pappige Herz auf eine Art und Weise berühren, dass es vage möglich erscheint, die verlassenen Regionen wieder aufzufüllen...

Da spreche ich heute auf einer "normalen" eigentlich langweiligen Party mit M. und erfahre, dass ihr Onkel Mönch im Shaolinkloster ist, und sie ihre Leukämie im Endstadium mit seiner Hilfe in einer Höhle in Tibet ausgeheilt hat. Sie war mir schon lange durch ihre buddhistische Gelassenheit aufgefallen. Nun kommen wir uns näher, und ihre Geschichte berührt mich besonders, da ich mich schon viele Jahre mit Buddhismus, Yoga und Ayurveda befasse, aber sehr viel allein mit Büchern. Die buddhistische Betrachtung des Lebens hat mich verändert, mein Leben geprägt. Nun treffe ich in meiner normalen, so rationalen Umgebung einen Menschen, dessen Leben auch davon geprägt wurde und noch dazu mit einer so unglaublichen Geschichte.

Dann lese ich noch ein wenig in Blogs und finde bei Dale diesen Text, der genau meine Stimmung trifft und so schmerzhaft schön geschrieben ist:

Thirty years of failing, as an artist, as a lover,
As a saint and as a demagogue have left me here
In this steeping space, crowned with leaves of bay from last
Night's soup, counting wads of counterfeit money, the ink
Bleeding across the faces of presidents and secretaries
Of the Treasury. Seepage has become the way I live.

Crusted coffee-filters, and pizza-boxes that have sucked
Rings of the grease of cheese into their cardboard hearts;
These are the signs and tokens of a life drawn and absorbed
From the fears and vanities of others, subdued to what
It works in, like a dying hand. Rinpoche discouraged
Tripping -- first of all, he said, you need an ego to lose.


Das Schicksal/Gott/das Universum schickt die notwendigen Dinge zur richtigen Zeit.

11.11.05

irland - urlaubsnachlese

Wir fuhren an einem leicht nebligen Sonntagmorgen von Tourmakeady nach Westport. Es war noch menschenleer. Die schmale Strasse, von Steinmauern und Sträuchern eingefasst, ist kurvig und noch dazu gewellt, das heisst, es geht immer ein wenig hinauf oder hinab. Alles in allem hat man nur eine kurze Sicht auf die vor einem liegende Strasse. Links und rechts sind Wiesen mit Schafen, ab und zu steht ein Haus oder eine Gruppe von Häusern. So fährt man eine ganze Weile.

Und dann kam der Flow. Ich befand mich in Flann O’Briens „Der dritte Polizist“ /“The Third Policeman“. In eben der seltsamen, unwirklichen Landschaft, die mich in diesem Buch schon gefangennahm. Ich war in der Fiktion von Flann O’Brien. Flann O‘ Briens Fiktion speiste sich vielleicht aus ebendieser Gegend? Wie auch immer, es war sehr grossartig. Phantastisch.

Als ich zuhause noch einmal nachlesen wollte, habe ich mein Buch nicht gefunden. He, das ist eins meiner liebsten Bücher und ich war selbst da drin. Wo ist es?

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Die Raben.

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Das inbrünstige Beten in den Kirchen.

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Diese alten Pferde mit Pferdedecken behängt, die traurig beieinanderstehen, finde ich in Irland immer irgendwo. Das ist ein Bild, das mich tief berührt. Sich immer wieder in diesem Bild verlieren und finden.

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Dieses Irische, das mich so anspricht, dem ich mich so verbunden fühle. Ist es das Tragische, Abseitsstehende und zugleich das Unverfälschte, Verrückte, dieses fast Bersten vor starkem innerem Gefühl das damit einhergeht?

Harry Rowohlt sagt dazu: „... würde man nie darauf kommen, dass er ein Ire ist, weil er immer zu gut drauf ist. Er hat nicht diesen Dämon auf der Schulter. Er hat überhaupt nichts Transzendentes ...“

07.11.05

so herausgefallen

Nach wenigen Tagen in einem anderen Land grosse Schwierigkeiten gehabt, wieder anzukommen und Boden unter die Füsse zu kriegen. Was ist das? Es ist neu, dass mir das Reisen nicht bekommt.

Alles war aus dem Lot, das innere Zerfallen begann schon in Connemara, ein Schrecken breitete sich aus, der allumfassend wurde in jedem Moment des Alleinseins. Lähmende Angst. Zuhause dann inwendiges Zerbrechen. Keine Mitte mehr.

Es hat jetzt über eine Woche gedauert, dass sich die zerbrochenen Teile wieder ordneten, dass ein Sich-Wiederfinden im eigenen Leben möglich wurde. Den Schrecken langsam wieder loswerden, Tag für Tag ein wenig. In der Hoffnung, dass er ganz verschwindet.